In unserer neuen Rubrik «salut : tschüss !» sprechen wir mit Menschen aus der Bieler Kunst- und Kulturszene. Entweder – salut – sind sie neu in der Stadt oder – tschüss – verlassen Biel für neue Abenteuer. Ab und an nehmen wir auch ein kleines Jubiläum zum Anlass und sprechen mit jemandem beispielsweise über das erste Bieler Jahr.
Heute stellen wir unsere Fragen Sarah Girard, Direktorin der Bieler Fototage.
Frau Girard, Sie sind seit 2018 Direktorin der Bieler Fototage, sie haben bisher sechs Ausgaben geleitet und begleitet. Nun beginnt am 3. Mai die siebte und für Sie letzte Ausgabe. Mit welchen Gefühlen gehen Sie auf diese letzte Ausgabe zu? Blicken Sie bereits zurück oder erstmals nach vorn auf die neue Ausgabe?
Mit sehr viel Enthusiasmus. Dies war meine erste Stelle als Direktorin. Zuvor war ich in der Kulturvermittlung, im Kulturmanagement sowie in der Fotografie tätig. Besonders spannend an dieser Position war die Verbindung von künstlerischer und administrativer Leitung. Sie bot mir die Möglichkeit, nicht nur jedes Jahr ein neues, eigenständiges Programm zu gestalten, sondern auch die strukturellen Grundlagen sowie bestehende und neue Partnerschaften weiterzuentwickeln.
Seit 2018 konnten wir unser Publikum beinahe verdreifachen, zahlreiche Kooperationen aufbauen und die Infrastruktur des Festivals wesentlich professionalisieren. Ich verlasse somit eine Institution, in die ich über Jahre hinweg viel investiert habe – mit dem Ziel, sie wachsen zu lassen und ihr eine nachhaltige, solide Basis zu geben.
Ein konkretes Beispiel für diese Entwicklung ist die komplette Neugestaltung unserer Website sowie die Erstellung eines Archivs in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Biel. Dieses Archiv ist nun für alle zugänglich – online über unsere Website und vor Ort im Stadtarchiv Biel. Die Archivierungsarbeit wird laufend fortgesetzt und stellt einen wichtigen Bestandteil unserer langfristigen Strategie dar.
Durch diese offene und professionelle Dokumentation gewinnen nicht nur die Fototage selbst an internationaler Sichtbarkeit, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten wir zeigen. So entsteht ein wachsendes digitales Gedächtnis, das weit über die Dauer des Festivals hinauswirkt.
Im Laufe der Jahre sind zahlreiche neue Partnerschaften entstanden, und das Festival hat sich kontinuierlich auf neue Austragungsorte ausgeweitet. Seit 2019 arbeiten wir beispielsweise mit der Residenz au Lac zusammen – einem Altersheim hinter dem Bahnhof –, das wir seither regelmässig in unser Programm einbeziehen. Auch im öffentlichen Raum, etwa an der Untergasse in Biel, haben wir gezielt neue Ausstellungsformate realisiert.
Diese neuen Orte bereichern die Fototage auf vielfältige Weise: Sie ermöglichen den Dialog mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, schaffen unerwartete Begegnungen mit Bildern im Alltag und öffnen das Festival für neue Perspektiven – sowohl inhaltlich als auch räumlich.
Die Fototage sind das einzige jährlich Festival für zeitgenössische Fotografie dieser Art in der Schweiz. Warum eignet sich Biel als Standort für ein Format wie die Fototage?
Tatsächlich macht genau dieser Fokus auf die zeitgenössische Fotografie die Besonderheit des Festivals aus. Biel spielt dabei eine strategische Rolle – regional, national und international. Die Fototage bieten aufstrebenden Fotografinnen und Fotografen aus der Schweiz und aus dem Ausland eine wertvolle Plattform, um ihre Arbeiten einem breiten Publikum zu präsentieren.
Ein weiterer zentraler Aspekt in Bezug auf Biel ist der zweisprachige Charakter der Stadt, der die Kreativität auf verschiedenen Ebenen bereichert. Fotografie ist auch eine Sprache, welche verschiedene Repräsentationen ermöglicht und einen bestimmten Blick auf die Welt erzeugen kann. Nicht zuletzt ist Fotografie stets eng mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen verknüpft. Auch in der aktuellen Ausgabe der Fototage spiegelt sich dieser Bezug zur Gegenwart auf eindrucksvolle Weise wider.
Die neue Ausgabe dreht sich um das Thema Horizons. Was erwartet die Bieler und Bielerinnen in dieser neuen Ausgabe? Welche Denkanstösse werden gegeben?
Die diesjährige Ausgabe der Fototage ist der Frage nach der uns umgebenden Landschaft und ihrer Entwicklung im Zusammenhang mit den vielfältigen Krisen gewidmet, die uns betreffen: Kriege, Klimakrise, soziale Polarisierung und der Wandel unserer Gesellschaften. Ein roter Faden vieler ausgestellter Werke ist die Landschaft – als physischer Raum, als Symbol und als Spiegel realer oder imaginierter gesellschaftlicher Veränderungen.
Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie verändert sich unsere Beziehung zur Landschaft? Was erzählen uns Territorien, die sich verschieben, verschwinden oder neu entstehen – geografisch, politisch, symbolisch?
Das kuratorische Konzept der Fototage folgt einer klaren Linie: Jedes Jahr wird ein Thema gewählt, das von eingeladenen Künstler:innen hinterfragt, dekonstruiert und neu interpretiert wird. In diesem Jahr richten wir unseren Blick darauf, wie wir Landschaft betrachten und nutzen – und darauf, was sie über unsere Geschichte und Gesellschaft offenbart.
Die diesjährige Ausgabe der Fototage präsentiert 18 Ausstellungen an 10 verschiedenen Orten in Biel – ein Zeichen für das kontinuierliche Wachstum und die Vielschichtigkeit des Festivals. Von Beginn an war mir die kulturelle Vermittlung ein zentrales Anliegen: Es ging nie nur darum, Fotografie zu zeigen, sondern auch darum, sie in unterschiedlichen Kontexten erfahrbar zu machen und zu
Die Vielfalt der Ausstellungsorte ermöglicht es, zeitgenössische Fotografie in verschiedensten Lebensrealitäten zu verankern. Denn Fotografie ist eine transversale Praxis: Sie wird nicht nur von professionellen Künstler:innen ausgeübt, sondern auch von Menschen im Alltag – als Ausdrucksform, als Erinnerung, als Kommentar zur Welt. Diese Komplexität und Vielstimmigkeit aufzunehmen und in ein kuratorisches Konzept zu überführen, das war für mich eine spannende Herausforderung.
Mit Blick auf die Zukunft: Haben Sie bereits Pläne für die Zukunft? Wo zieht es Sie hin? Bleiben Sie bei der Fotografie?
Ich bleibe in Biel und übernehme die Geschäftsleitung von benevol Schweiz – der nationalen Dachorganisation, die kantonale und regionale Fachstellen vereint und die Freiwilligenarbeit in der Schweiz koordiniert. Gemeinsam mit dem Vorstand werde ich dort eine neue Strategie entwickeln. Ich liebe es, Strukturen aufzubauen und Prozesse zu professionalisieren – genau das werde ich auch in diesem neuen Kontext tun.
Dabei interessiert mich besonders die Frage: Wie kann freiwilliges Engagement in der Schweiz gestärkt, unterstützt und sichtbar gemacht werden? Es geht darum, den gesellschaftlichen Wert dieser Arbeit anzuerkennen und neue Wege zu finden, wie wir über Engagement sprechen und es repräsentieren können.
Die Fotografie wird mich dabei weiterhin begleiten. Ich plane, mit Fotograf:innen zusammenzuarbeiten, um Freiwilligenarbeit mit einem neuen Blick sichtbar zu machen – durch Bilder, die Geschichten erzählen, hinterfragen, berühren. Denn auch in dieser neuen Rolle möchte ich gesellschaftliche Fragen aufwerfen – so wie ich es bereits bei den Bieler Fototagen getan habe.
Was wünschen Sie sich noch für die Bieler Kulturszene?
Die finanzielle Lage ist aktuell in vielen Bereichen angespannt – nicht nur in der Kultur. Gerade in solchen Zeiten ist es besonders wichtig, den Wert von Zusammenarbeit nicht aus den Augen zu verlieren. Die Vorteile von Kooperationen sind immens, und eines der grossen Potenziale der Fototage liegt genau darin: in ihrer Fähigkeit, Partnerschaften zu initiieren und zu pflegen.
Neue Kooperationen einzugehen, bedeutet immer auch eine Chance für Institutionen. Gerade jetzt könnte die schwierige Situation dazu führen, neue Kooperationen zu fördern.
Andererseits darf die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit nicht vergessen werden. Es ist wichtig, die lokale Kultur zu unterstützen, aber ebenso notwendig, den Austausch mit internationalen Kulturszenen aufrechtzuerhalten – ein Gleichgewicht, das im heutigen Kontext zunehmend schwer zu halten ist, aber von zentraler Bedeutung bleibt.
Mit Blick auf die Fototage sehe ich mit Stolz auf das, was entstanden ist: Aus einer kleinen Struktur, die vor 28 Jahren von drei Bildbegeisterten ins Leben gerufen wurde, ist ein professionelles Festival geworden, das fest in der Schweizer Kulturszene verankert ist – und dazu konnte ich beitragen. Ich wünsche mir, dass die nächste Leitung diese Dynamik weiterträgt, auf dem Bestehenden aufbaut und gleichzeitig neue Impulse einbringt.